Vorbemerkungen

Liebe Freunde, 

die unten stehende Geschichte "Weihnachten kommt in unser Haus" ist für den Familien-Weihnachts-Gottesdienst 2014 in der evangelischen Kirche FMG Region Zofingen auf Basis eines alten Kinderbuches entstanden. Vor mehr als zwanzig Jahren haben wir unseren damals kleinen Kindern in der Weihnachtszeit täglich daraus vorgelesen. Für den Gottesdienst haben wir es wieder einmal hervorgenommen und auf die Bedürfnisse eines Gottesdienstes stark angepasst. Leider haben wir es dann jedoch übersehen das Vorlesen der Geschichte aufzuzeichen, so dass wir als Ersatz das Manuskript für euch hier bereitstellen. 

Viel Vergnügen beim Lesen wünscht Frank Vornheder

1-Das Haus am Obertorplatz

Seit dem Herbst wohnte Andreas Huber mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester Steffi am Obertorplatz Nummer 23. Das Haus war ein altes graues Mietshaus mit drei Stockwerken und hohen, schmalen Fenstern. Es sah genauso aus wie die meisten anderen Häuser am Obertorplatz, die auch alle alt, grau und dreistöckig waren. Wenn nicht im Erdgeschoss der kleine Zeitschriften- und Bonbon-Laden von Herrn Sarasani wäre, dann hätte man Mühe gehabt, die Nummer 23 zu finden. Andreas Huber wohnte mit seiner Mutter und der kleinen Schwester oben im dritten Stock. Wenn er nach der Schule aus dem Fenster schaute, sah er nichts als graue Mauern und Dächer. Was für ein trotzloser Anblick das ist!

Früher als seine Eltern noch zusammen waren, hatten sie alle miteinander in einem kleinen Haus auf dem Dorf gelebt. Dort gab es einen Garten mit Hasen, Hühnern und einem Hund, der der Grossmutter gehörte. Da gab es auch Büsche zum verstecken und Bäume zum klettern. Aber das war früher und nicht jetzt. Im Haus am Obertorplatz gab es nur die beiden Hunde von der alten Frau Putzke aus dem untersten Stock rechts. Zwei dicke Dackel namens Taps und Schlurf, die von Frau Putzke jeden Tag ein paar mal um den Obertorplatz geführt wurden. Andreas hätte nur zu gerne einmal mit Taps und Schlurf gespielt. Er kannte eine Menge feiner Hundespiele. Aber er traute sich nicht zu fragen, weil Frau Putzke immer so ein unfreundliches Gesicht machte. Sie lachte einfach nie. Den ganzen Tag sass sie mit ihren Dackeln am Fenster zur Strasse und machte ein strenges Gesicht. Na ja, und Bäume gab es erst recht nicht hier, ausser der grossen Tanne, die seit gestern mitten auf dem Platz stand. Aber die konnte man ja nicht so richtig mitrechnen. Ein paar Arbeiter waren gestern mit einem grossen Lastwagen gekommen und hatten den Baum mit den vielen Lichterkerzen auf dem Platz errichtet. Nun hingen quer über dem Obertorplatz Lichterketten mit Sternen und Glocken aus Glühbirnen.

Es sah richtig weihnachtlich aus. Andreas aber mochte gar nicht hinsehen. Es gab ihm jedesmal einen Stich ins Herz, wenn er an Weihnachten und Advent dachte. Er hatte gar keine guten Erinnerungen an Weihnachten. Irgendetwas war immer schief gegangen. Es war auch sonst viel schief gegangen, aber an Weihnachten war es immer besonders schlimm gewesen. Da hatte er immer so sehr darauf gehofft, dass Vater nicht am Abend weggehen und trinken würde. Und dass die Mutter nicht später weinend im Bett liegen würde. Meistens hatte er dann lange wach gelegen und heimlich unter der Bettdecke gebetet, das es wieder gut kommt, irgendwie. Aber wenn dann der Vater in der Nacht betrunken nach Hause gekommen war, hatte es immer Streit gegeben. Weihnachten endete irgendwie immer auf diese Weise. Mit Streit und Tränen.

In diesem Jahr würde Weihnachten erst recht traurig werden. Er hatte so gar keine Hoffnung, dass seine Gebete erhört würden und es nun doch noch gut kommen würde. Alleine mit der Mutter in einer fremden Stadt, in einer fremden Wohnung, in einem Haus, in dem sie niemanden wirklich kannten. Das konnte doch nur schlecht kommen. Am liebsten würde Andreas Weihnachten ganz vergessen. Aber wie sollte er das, wenn alle anderen Menschen um ihm herum mit Lichtern und Liedern Weihnachten feierte.

Sogar Herr Sarasani, der sonst nichts anders als Zeitschriften und Bonbons verkaufte, hatte einen Extratisch mit Lebkuchen und Weihnachtspapier, Kerzen und kleinen Engeln aufgestellt. Auch die anderen Kinder im Haus, seine kleine Schwester Steffi und die Kinder der Familie Berger, Peter, Paul und Tina, fanden Weihnachten ganz toll.Tina hatte von ihrem Taschengeld eine Tüte Lebkuchen bei Herrn Sarasani gekauft. Nun standen die Kinder vom Obertorplatz 23 im Treppenhaus, verspeisten den köstlich, weihnachtlich riechende Lebkuchen und erzählten dabei voller Vorfreude, was sie sich zu Weihnachten wünschten. Andreas sagte aber gar nichts dazu. Er sass auf dem Treppengeländer und machte ein düsteres Gesicht. Was die sich nicht alles wünschten und wie sie sich auf Weihnachten freuten. Er konnte sich das nicht mitanhören. Er sprang vom Geländer, murmelte etwas Unverständliches und ging nach draussen auf die Strasse. Draussen war es schon fast dunkel und ein kalter Wind pfiff ihm um die Ohren. Ganz leicht begann es nun zu regnen. Andreas zog seine Mütze tiefer in das Gesicht und vergrub die Hände in die Taschen. So stand er eine Weile da und wusste nicht, wohin er gehen sollte. Gerade in diesem Moment ging das erste Mal die Weihnachtsbeleuchtung an und die vielen Glühbirnen an den Lichterketten erstrahlten. Sie spiegelten sich in den Scheiben der Autos und dem Wasser auf der Strasse. Alles sah so prächtig aus. Doch Andreas war nun erst recht zum Heulen zumute. Er wollte nur noch allein sein, ohne Weihnachten und erst recht ohne die Lichter.

Als er in das Haus zurück ging, war er froh, dass die anderen Kinder nicht mehr im Treppenhaus waren. Ganz leise – um ja nicht gehört zu werden - ging er die Treppe hinauf in den dritten Stock. Doch schon als er auf dem Treppenabsatz stand, konnte er hören, dass dicke Luft war. Seine Mutter stand im zweiten Stock vor der Wohnungstür von Herrn und Frau Graber und hatte ein ganz böses Gesicht. Zwischen Herrn und Frau Graber stand ganz eingeschüchtert Herr Macaroni, ihr italienischer Untermieter.

Was war geschehen? Mama hatte ihren Waschtag gehabt. Das war der Tag, an dem sie die Waschmaschine im Keller und die Leinen alleine benutzen durfte. So war sie im Keller gewesen und hatte mit der Waschmaschine die dreckige Wäsche gewaschen. Als sie damit fertig war, wollte sie die frisch gewaschenen Sachen im Trockenkeller nebenan aufhängen.Doch, oh Schreck, dort hing die nasse Arbeitskleidung von Herrn Macaroni. Voller Wut hatte sie die nasse Kleidung des kleinen Italieners von der Leine gerissen und war die Treppe hoch in den ersten Stock gestürmt.

Nun stand sie mit hochrotem Kopf vor Herrn Macaroni und drohte ihm lautstark:"Wenn Sie noch einmal an meinem Waschtag die Leinen benützen, dann schmeiss ich Ihren ganzen Plunder in den Müllkübel", und drückte dann die nassen Sachen von Herrn Macaroni der verdutzen Frau Graber in die Arme. „Aber, aber, aber, Herr Macaroni hatte doch nur die nassen Sachen, von dem Regen auf seinem Heimweg zum Trocknen aufgehängt", sagte Frau Graber ganz vorsichtig.

Aber Frau Huber wollte nicht hören. "Hier in der Schweiz gibt es Hausordnungen. Und diese sagen wann, wer, wie lange waschen und aufhängen darf. Daran muss sich auch Herr Spagetti halten! Basta! Und wenn er damit nicht klarkommt, dann muss er wieder nach Italien zurück gehen". Frau Graber schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber das ist doch kein Grund sich so aufzuregen, er hat das doch bestimmt nicht absichtlich gemacht!". Dabei zupfte sie verlegen an den Kleidungsstücken von Herrn Macaroni herum. Eine Socke fiel dabei unbemerkt zu Boden. Aber Frau Huber wollte sich nicht beruhigen und schrie sehr laut: „Ich will mich aber aufregen!", und stürmte die Treppe hoch in ihre Wohnung.

Schüchtern auf den Boden schauend stand Andreas nun bei dem verdutzten Eheleuten Graber und einem Herrn Macaroni, der nur Bahnhof verstanden hatte. Verlegen bückte er sich, hob die eine heruntergefallene Socke auf und legte ihn auf den Stapel Wäsche auf Frau Grabers Armen, bevor er sich dann auf den Weg nach oben in die Hubersche Wohnung machte. „Das können ja heitere Weihnachten werden", dachte Andreas düster.

2-Eine Überraschung für Herrn Sarasani


Tina Berger sass am Esstisch und machte Aufgaben für die Schule. „Du Mama", fragte sie, „Was fällt dir ein, wenn du an Weihnachten denkst?"- „Na, das ist doch nicht schwer", sagte Frau Berger. „Weihnachtsbaum und Kerzenschimmer und ..."-„... und Geschenke" rief Peter dazwischen. „Das habe ich alles schon", sagte Tina. „Gutes Essen", schlug Herr Berger vor. „Und Weihnachtsgebäck", rief Paul „Nussmakronen und Zimtsterne. „Weihnachtslieder und Adventsmusik". „Danke" sagte Tina und schrieb. „Fällt euch noch was ein?"-
„Na ja, vielleicht Reisebüro Meyer am Markt!", lachte Herr Berger. Er schlug die Zeitung auf und las vor:"Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Weihnachten denken? Natürlich wie jedes Jahr: Das Reisebüro Meyer am Markt. Wir bieten Ihnen unser bewährtes Weihnachts-Reiseprogramm zu den Sonneninseln des Südens an. Vergessen Sie Kälte, Nebel und Regen und verbringen Sie die Festtage unter der sommerlich warmen Sonne von Teneriffa".Tina schüttelte den Kopf. „Das passt erst recht nicht, Papa. Das passt bestimmt nicht!".

„Für welches Fach brauchst du das denn?", fragte Herr Berger
. „Na für Religion", antwortete Tina. "Ach so", sagte da Frau Berger aus ihrem gemütlichen Sessel, „das ist doch etwas anders". „Dann brauchst du die Worte – Krippe, Jesus, Hirten , Weihnachtsgottesdienst", sagte sie. Tina schrieb es auf, war aber immer noch nicht zufrieden. „Das passt alles nicht. Die Lehrerin hat uns zwei Ratewörter mitgegeben, die auf jedem Fall dabei sein sollten. Sie haben beide 6 Buchstaben. Das eine hat in der Mitte ein 'ie' und das andere ein 'eu'". „Hm" sagte Herr Berger – und alle dachten angestrengt nach. "Ich weiss es", sagte da Frau Berger – „das ist doch ganz sonnenklar! Es bedeutet ‚Friede’ und ‚Freude’". Tina probierte es aus und tatsächlich, es passte. „Eigentlich", sagte Frau Berger, „hätten wir da ja gleich darauf kommen sollen".


Am nächsten Tag in der Schule sagte die Religionslehrerin, das wichtigste an Weihnachten sei, das die Menschen „Frieden und Freude" einander schenken. Dazu sei es nicht notwendig teure Geschenke zu verteilen. "Manchmal genügt ein freundliches Wort", sagte die Lehrerin, "oder eine kleine Aufmerksamkeit oder ihr könnt jemanden helfen, der gerade Hilfe nötig hat". Am Nachmittag standen die Kinder vom Obertorplatz 23 im Treppenhaus zusammen und langweilten sich. Da fiel Tina ein, was die Lehrerin am Morgen gesagt hatte und schlug vor:"Lasst uns jemanden eine Weihnachtsfreude machen". Sofort waren alle am überlegen, wer wohl ihre Hilfe am meisten benötigen könnte. Sehr schnell kamen sie auf Herrn Sarasani in seinem kleinen Zeitschriften und Bonbon-Laden. Alle waren gerne bereit ihm zu helfen. "Ich verkaufe die Weihnachtskarten", sagte Tina. "Und ich die Comic-Hefte", sagte Peter. „Und ich die Bonbons und Kaugummis", sagte Steffi. „Nein die Bonbons verkaufe ich", rief Andreas laut dazwischen. „Du kannst ja noch gar nicht rechnen". „Nun wartet doch erst einmal ab", sagte Paul, "und lasst das Herrn Sarasani selber entscheiden".

Herr Sarasani machte ein ziemlich erstauntes Gesicht, als sich alle zusammen in seinen Laden drängten und auf ihn einredeten. „So,so" ,sagte er, als endlich begriff, was sie wollten. „Also wenn ihr mir helfen wollt, dann könnt ihr meinen Keller aufräumen". Die Kinder sahen sich enttäuscht an. „Wir dachten eigentlich im Laden verkaufen helfen". „Damit komme ich sehr gut alleine zurecht", sagte Herr Sarasani, „aber zu dem Keller komme ich einfach nicht. Tagsüber habe ich keine Zeit und Abends bin ich zu müde". Tina seufzte: „Also los, das ist es doch was wir wollten – helfen". Herr Sarasani ging mit den Kindern in den Keller. Oh, wie das hier aussah – alles war durcheinander.

Peter schichtete das Brennholz zu einem ordentlichen Stapel auf, Steffi suchte die alten Zeitungen und Illustrierten zusammen und legte sie aufeinander in eine alte Schachtel. Peter brachte den Werkzeugschrank in Ordnung. Er sortierte Nägel und Schrauben auseinander, und das ganze Werkzeug legte er in eine schöne Reihe, den Stiel immer in die gleiche Richtung.Tina sammelte die leeren Flaschen zusammen und stellte sie in eine Kiste. Paul zerriss die alten Kartons, in denen Herr Sarasani immer die Ware bekam und stopfte sie in einem Müllsack.Gerade als sie fertig waren, kam Herr Sarasani die Treppe herunten. Als er alles so schön ordentlich sah, klatschte er in die Hände und strahlte über das ganze Gesicht:"Nein, wie schön. So ordentlich hat da ja schon seit Ewigkeiten hier nicht mehr ausgesehen". Die Kinder bekamen als Belohnung jeder eine Tüte mit einer Auswahl seiner besten Bonbons. Wirklich, an so etwas hatten sie gar nicht gedacht. Es hatte ja auch so Spass gemacht. Abends im Bett überlegte Tina: „Eigentlich haben wir ja nun das gemacht was die Lehrerin gesagt hat. Wir haben Freude geschenkt. Aber wie verschenkt man Frieden?". Bei ihrem Nachdenken über dieser schwierigen Frage schlief sie langsam ein.

3-Frau Putzke ändert sich

Zu der Familie von Andreas und Steffi Huber gehörte auch ein kleines Kätzchen, das ihnen im Herbst zugelaufen war. Ganz zutraulich kam die kleine Katze jetzt nun schon seit einigen Monaten jeden Abend zu den Hubers um sich eine Schale Milch und etwas Futter abzuholen. Natürlich gehörte die kleine Katze jemand anderes in der Nachbarschaft, aber Andreas und Steffi hatten die Katze sofort in ihr Herz geschlossen und spielten oft mit ihr im Treppenhaus. Andreas erfand immer wieder ganz neue, lustige Spiele. Das schönste von allen war „Katzentennis". Das gefiel ihm am besten.Es ging ganz einfach: Andreas stellte sich unten an die Treppe und warf einen Tischtennisball die Stufen hinauf. Oben angekommen sprang der kleine Plastik-Ball dann an die Wand und kam wieder zurück, die Treppe hinunter. Tak, tak, tak hüpfte er von Stufe zu Stufe zu Andreas zurück. Und die kleine Katze überschlug sich fast bei dem Versuch den kleinen Ball einzufangen. Das gab natürlich einen Heidenlärm im Treppenhaus und so dauerte es nicht lang bis bei Frau Isolde Putzke die Tür aufging. Frau Putzke machte die Tür aber nur einen kleinen Spalt auf und schaute mit sehr bösen Blick hindurch. Sie konnte die Tür nicht weiter aufmachen, weil zwischen ihren Beinen die beiden dicken Dackel Taps und Schlurf drängelten und hinauswollten. Gerade in diesem Augenblick kam die kleine Katze mitsamt dem Ball in voller Fahrt die Treppe hinunter und fiel Frau Putzke direkt vor die Füsse. Die beiden Dackel machten einen erschrockenen Satz nach hinten. Dann aber erhoben sie ein mächtiges Gebell und stürzten sich auf die kleine Katze und jagten ihr nach. „Taps! – Schlurf!", schrie Frau Putzke aus Leibeskräften. Gleichzeitig rief Andreas: „Komm Mietz, Mietz, komm ...!"

Aber das kleine Kätzchen hörte nicht auf ihn. Aus lauter Angst vor den kläffenden Hunden raste sie erst die Treppe wieder hoch mit den dicken, schnaufenden Hunden hintendrein und dann wieder hinunter. Da sie aber dann nicht mehr wusste wohin, sprang sie durch die Beine von Frau Putzke in deren Wohnung.
Frau Putzke wurde hochrot im Gesicht und schrie aus Leibeskräften: „Taps! – Schlurf! Sofort bei Fuss!". Aber die Hunde störten sich überhaupt nicht an dem Geschrei. Während Frau Putzke immer noch in der Tür stand, hörte man es drinnen in der Wohnung schon scheppern und klirren wie von zerbrochenen Geschirr. Als alle nach drinnen stürzten, sahen sie, wie die Katze von den Hunden quer durch die Wohnung gejagt wurde. Dabei hatten sie die Kaffeekanne auf dem Wohnzimmertisch umgestossen und der Kaffee lief nun über die Tischplatte und tropfte bereits auf den Fussboden. Auf dem Wohnzimmerschrank stand eine Vogelkäfig mit Frau Putzkes Kanarienvogel drin. Der flatterte wie verrückt in seinem Käfig umher und bekam fast einen Herzschlag vor Schreck. Frau Putzke bekam auch fast einen Herzschlag. Sie verlor vollkommen die Nerven und schrie in höchster Verzweiflung: „Hilfe, so helft mir doch! Steht nicht herum und glotzt!". Alle Kinder rannten nun in der Wohnung herum, wollten Scherben auflesen, den Kaffee aufwischen, den Vogel retten, die Katze einfangen, Frau Putzke beruhigen .... Es war das totale Chaos.


Als die kleine Katze dann auf das Fensterbrett sprang, packte sie Frau Putzke kurzerhand mit einer Hand, riss mit der anderen das Fenster auf und warf die Katze einfach aus dem Fenster. Die Kinder standen schreckstarr in der Stube und starrten mit offenem Mund auf das Fenster. Plötzlich war kein Ton mehr zu hören. Alles war mit einem Mal still. Nach einigen Sekunden löste sich die Starre und die Kinder rannten hinaus auf die Strasse. Dort hockt das Kätzchen auf den Gehweg und leckte sich die Pfoten. Das Fenster der Erdgeschosswohnung von Frau Putzke lag nur wenig über dem Gehweg, so dass nichts weiter passiert war. Andreas nahm das Kätzchen ganz behutsam in die Arme und murmelte leise:"Diese böse Frau".

In der Nacht danach konnte Frau Putzke nur sehr schlecht einschlafen. Dieses Chaos in der Wohnung heute hatte sie doch zu sehr aufgeregt. Immer wieder kamen ihr Bilder von der Jagd durch die Stube in den Sinn. Als Frau Putzke dann endlich einschlief, hatte sie einen sehr merkwürdigen Traum.


Sie träumte, dass es an der Tür klingelte und als sie hinging und öffnete stand draussen der Nikolaus. Er sagte einfach:"Guten Abend", und stampfte an ihr vorbei in das Wohnzimmer. „Ich glaube Sie sind hier falsch!", sagte Frau Putzke. „Hier wohnen keine Kinder." Der Nikolaus zog ein grosses schwarzes Buch hervor und blätterte darin einige Seiten durch. Dann sagte er: „Isolde Putzke, Obertorplatz 23, Erdgeschoss rechts. Bist du das?". Frau Putzke nickte ganz eingeschüchtert. Der Nikolaus nickte zufrieden und sagte dann:"Na also! Kannst du dein Gedicht?"- „Mein was ... ?", stotterte Frau Putzke. „Welches Gedicht? N..N.. Nein, ich kann kein Gedicht!". Sie war völlig durcheinander. „Dann sing ein Lied!", sagte der Nikolaus streng. Mit zittrigen Knien und rauer Stimme begann Frau Putzke sofort ein Lied an zu singen: „Summ, summ, Bienen summ herum ...", sang sie mit ihrer tiefen Stimme. Ein anders Lied fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. „Nein, nein!", rief der Nikolaus. "Nicht so etwas! Ich will ein Weihnachtslied von dir hören."- „Ich kann kein Weihnachtslied.", sagte Frau Putzke ganz leise und schaute dabei beschämt auf den Boden. „Ich habe alles vergessen".

„Dann spiel mir etwas auf der Flöte vor", sagte der Nikolaus streng. „Ich kann auch keine Flöte spielen", sagte Frau Putzke noch leiser. Der Nikolaus nahm wieder sein schwarzes Buch hervor, nahm einen dicken roten Beistift und schrieb hinein: Kann kein Gedicht, kann kein Lied! „Das sieht aber nicht gut für dich aus, Isolde Putzke. Das kommt davon, dass ich nicht mehr so lange bei dir war", sagte der Nikolaus. „Bist du denn wenigstens brav gewesen?", fragte der Nikolaus.

Frau Putzke war völlig durcheinander. Seit mehr als 60 Jahren hatte sie niemand mehr gefragt, ob sie brav gewesen war. Jetzt aber nickte sie ganz eifrig. Das war eine Frage, die sie leicht beantworten konnte. „Ich bin ordentlich und fleissig", sagte sie. „Ich räume immer meine Sachen auf, lärme nicht im Treppenhaus und gehe jeden Abend pünktlich und ohne Widerrede in das Bett!", sagte Frau Putzke.
„Schön, schön", sagte der Nikolaus, „und was noch?"- „Genügt das denn nicht?", fragte Frau Putzke vorsichtig.„In deinem Alter ist das nichts besonderes.", sagte der Nikolaus, und bätterte dabei in seinem Buch. „Hier steht, dass du zu Kindern unfreundlich bist. Stimmt das?". Frau Putzke erschrak. Sie hatte nie daran gedacht, dass der Nikolaus sich um derartige Sachen kümmert. Sie schwieg einen ganzen Augeblick. „Na?", fragte der Nikolaus. „Du willst nicht antworten? Dann werden wir eben die Kinder fragen". In diesem Moment kamen alle Kinder des Hauses herein und machten ganz ernste Gesichter, als stünde es ganz schlimm um Frau Putzke. Frau Putzke fing an zu schwitzen und ihr Herz klopfte ganz laut. In diesem Moment erwachte sie und war ganz froh, dass alles nur ein Traum gewesen war. Sie machte Licht an und stellte fest, dass es mitten in der Nacht war. Taps und Schlurf schliefen friedlich in ihrem Körbchen. Es war alles wie immer. Oder sagen wir - fast wie immer.

Als Andreas und Tina am nächsten Mittag von der Schule kamen, steckte die Morgenzeitung immer noch im Briefschlitz von Frau Putzke. Auch die Fensterstoren waren noch heruntergezogen. Als die Kinder dann das Haus betraten, konnte sie Taps und Schlurf hinter der Wohnungstür hören. Sie kratzen an der Tür und wollten hinaus. Die Kinder schauten sich ratlos an. Tina meinte schliesslich: „Wir sollten klingeln. Da stimmt etwas nicht!". Als Frau Putzke nach einiger Zeit und mehrerem Klingeln öffnete, war sie immer noch im Morgenmantel und hatte einen dicken Schal um den Hals gebunden. Ganz freundlich begrüsste sie die Kinder und bat sie in die Wohnung. Die Kinder waren völlig verdutzt bei so viel Freundlichkeit. Das waren sie von Frau Putzke gar nicht gewöhnt. „Wir wollten Ihnen nur die Zeitung bringen und schauen, ob alles in Ordnung ist." sagte Tina.

„Das ist aber lieb von euch!" sagte Frau Putzke. „Als ich heute Morgen aufwachte, hatte ich ganz schlimme Halsschmerzen und Fieber!". Da kam ihr eine Idee: „Könntet ihr wohl meine Hunde Gassi führen?", fragte sie die Kinder.
Da beugte sich Andreas zu Tina herüber und flüsterte in ihr Ohr: „Dieser Katzenhasserin helfen wir nicht! Denk doch daran, was sie gestern noch mit unserem Kätzchen gemacht hat!"
„Nein!", entgegnete sie leise und bestimmt zurück. „Unsere Religionslehrerin hat gesagt, das wir einander Freude schenken sollen, damit Frieden wird. Sollten wir da nicht gerade bei Frau Putzke beginnen, nach dem ganzen Chaos von gestern?". Andreas nickte betroffen. Zusammen führten die Kinder danach Taps und Schlurf um den Obertorplatz. Die Hunde waren ganz glücklich ihre gewohnte Runde drehen zu können. Aber auch Frau Putzke war ganz froh. Richtig verändert zum Tag davor.

4-Ein Paket von Grossmutter

Am Sonntagmorgen als Herr Sarasani aus seiner Wohnung kam um die Haustür aufzuschliessen, sass Steffi Huber auf der Treppe. „Nanu", sagte Herr Sarasani erstaunt, „was treibst du denn so früh hier unten?". Steffi antwortete nicht. Sie sah Herrn Sarasani einfach dabei zu, wie er mit dem grossen Schlüsselbund die Stufen der Treppe aus dem ersten Sock herunter kam um die Haustür aufzuschliessen. Bei jedem Schritt klirrte das Schlüsselbund. „Hast du überhaupt schon gefrühstückt?", fragte er, als er von der nun aufgeschlossenenTüre zurückkam. Steffi schüttelte den Kopf. „Na, so was!", rief Herr Sarasani. „Ich habe nämlich auch noch nicht gefrühstückt. Da können wir doch zusammen Frühstücken, findest du nicht?". Oh, doch. Das fand Steffi auch und sie ging mit Herrn Sarasani in seine Wohnung.

In Herrn Sarasanis Küche war es warm und gemütlich. Der Tisch war schon fertig gedeckt. In der Mitte stand ein grosser Weihnachtsstollen, dick mit Puderzucker bestreut. Und es roch ganz feiertaglich nach frischem Kaffee. „Setz dich.", sagte Herr Sarasani zu Steffi und brachte ihr Tasse, Teller und Besteck. Er machte ihr dann eine heisse Milch, in der sie selber den Kakao hinein tun durfte. Dann schnitt er ihr ein dickes Stück vom Stollen ab und legte es auf ihren Teller. „Siehst du", freute er sich, „nun haben wir beide Glück gehabt. Ich brauche nicht alleine zu frühstücken und du brauchst nicht alleine auf der Treppe sitzen. Das ist doch ein guter Anfang für einen Sonntag!".

„Ich mag Sonntage nicht!", sagte Steffi. „Nein, wirklich? Warum denn nicht?"-
„Da schläft die Mama immer so lange und ich soll ganz leise sein. Das mag ich nicht."-
„Deine Mama muss schwer arbeiten", erklärte Her Sarasani. „Da wird sie eben müde sein."
Aber Steffi machte nur „Ach!" und tupfte die Krümel auf dem Teller mit dem Zeigefinger auf.
Herr Sarasani schaute auf die Uhr. „Was mache ich nur mit dir?", fragte er. „Eigentlich wollte ich in die Kirche gehen."-
„Ich kann ja mitgehen! Meine Mutter schläft doch noch, da macht sie sich sicher keine Sorgen".

Und so machten sie sich auf den Weg. Die Glocken fingen gerade an zu läuten, als Herr Sarasani und Steffi über den Obertorplatz gingen. Sie läuteten genau so lange, wie sie über den Obertorplatz gingen. Als sie in die Kirche kamen, fing gerade die Musik an zu spielen. Steffi sass still in der Bank und lauschte. Heimlich beobachtete sie die Leute, die rings herum sassen, die bunten Glasfenster, und das mächtige Buch, das vorne zwischen den Kerzen lag. Das musste wohl die Bibel sein. Aber am meisten bestaunte Steffi den grossen Adventskranz. Solch einen grossen Adventskranz hatte sie noch nie gesehen. Er war bestimmt zehmal so gross wie der daheim. Dann begannen die Leute zu singen. Herr Sarasani sang auch.


Nachmittags fuhr Frau Huber zu einer Freundin und die Kinder durften alleine zuhause bleiben. Sie hatten so gar keine Lust zu so einem langweiligen Anlass zu gehen. Als sie am Wohnzimmertisch sassen und malten, entdeckte plötzlich Andreas etwas auf dem Schrank. Irgendetwas lag da oben, das er noch nie zuvor da gesehen hatte. Andreas nahm sich einen Stuhl und schob ihn an den Schrank herran und stieg hinauf, denn nur so konnte er sehen, was es war. Er holte den grossen, schweren Karton herunter und stellte ihn auf den Boden. Auf dem Adressaufkleber konnte man sehen, dass es von der Grossmutter war. „Das ist das Weihnachtspaket von Grossmutter", sagte er aufgeregt zu Steffi. „Da sind unsere Geschenke drin". Sie drehten und wendeten das Paket und betrachteten es von allen Seiten.
„Ob da wohl das Taschenmesser dabei ist, das ich mir so sehr gewünscht habe?", überlegte Andreas. Er fühlte mit dem Finger über den Rand. „Wir könnten es aufmachen und nachsehen. Ich weiss, wo der Kleber ist um es nachher wieder zu verschliessen". Steffi schaut ihn ganz erschrocken an. „Nein, dass dürfen wir doch nicht!", entgegenete sie. „Niemand würde es merken. Mama kommt doch erst am Abend wieder!". Andreas zog vorsichtig am Klebestreifen. Er liess sich ganz einfach lösen. „Du willst doch auch wissen, was drin ist, oder? Wir schauen nur kurz herein und kleben dann wieder alles zu wie es war."

Andreas löste den restlichen Kleber und hob den Deckel der Schachtel an. „Oh", stöhnte Steffi, und riss die Augen auf. Der Karton war voller kleiner Weihnachtspäckchen. Und überall waren kleine Schildchen dran. Für Andreas, für Steffi ...
Andreas nahm ein kleines Päckchen in die Hand. Es hatte genau die richtige Grösse und das richtige Gewicht für ein Taschenmesser. Er löste ganz vorsichtig den Kleber an der Seite und dann lag es vor ihm. Genau so ein Taschenmesser, wie er es sich gewünscht hatte. In den anderen Päckchen waren ein Malbuch, ein Buch über Indianer, eine Wollmütze. Für Steffi gab es Puppengeschirr. Kleine Tellerchen, und Löffelchen und Schüsselchen. Steffi war so begeistert, sie hätte am liebsten gleich losgespielt. Aber Andreas liess das nicht zu. Er hat schon wieder angefangen alles einzupacken.

Aber es war nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte. Das Papier sass nicht mehr so richtig und der Kleber hielt auch nicht mehr. Am Ende sah alles recht zerknittert aus und in die Schachtel passte es auch nicht mehr hinein. „Ach Andreas," sagte Steffi, „das merkt die Mama doch sofort, dass wir dabei waren. Das sieht gar nicht mehr so aus, wie bei Grossmutter". Genau in diesem Moment ging die Türklingel. Frau Berger stand draussen und suchte Peter und Paul. „Sie sind nicht hier" sagte Andreas. Aber das Klingeln und der Schreck vorher liessen ihn ganz verängstigt aussehen. Da fing drinnen Steffi laut an zu weinen und unter Schluchzen und Stocken erzählten die beiden die ganze Geschichte. „Oh wei", sagte Frau Berger nur und nahm die ganze Schachtel, und alles was dazu gehörte und nahm es mit in ihre Wohnung. Andreas und Steffi hatte sie auch gleich mitgenommen. Dort brachte sie wieder alles in Ordnung, so dass es aussah, als wäre das Paket direkt von der Post gekommen. Zurück in ihre Wohnung stellte Andreas das Paket wieder ganz erleichtert auf den Schrank.

5-Weihnachten in der Dachkammer

An manchen Tagen, wenn es draussen so richtig schlechtes Wetter war, spielten die Kinder aus Nummer 23 oben auf dem Dachspeicher. Der Speicher war ein grosser düsterer Raum. Nicht einmal an normalen Tagen wurde es dort richtig hell. Vor allem wenn sie Abends dort spielten, war es so richtig gruselig. Überall lag altes Gerümpel herum. In der linken Hälfte, über der Wohnung der Hubers, gab es eine Dachkammer. Früher hatte Tina Berger aus dem zweiten Stock geglaubt, dort würde das Christkind wohnen. Ihre Grossmutter war sehr erfinderisch gewesen, Geschichten von umher fliegendenden Engeln zu erzählen, die Wunschzettel einsammeln und manchmal einen Goldfaden aus dem Haar verloren. Immer wenn Grossmutter dagewesen war, fand Tina massenhaft Goldfäden im Treppenhaus. Im Winter war es jedoch meist zu kalt oben auf dem Speicher zu spielen, sodas sie heute am 24.Dezember im Treppenhaus zusammen standen und überlegten, was man machen könnten. Es war doch jedes Jahr dasselbe. Die Zeit bis zum Abend wollte einfach nicht vergehen. Nur war es hier im Treppenhaus vermutlich auch nicht viel wärmer als auf dem Speicher.

Irgendwie wurde es immer kälter, sodas sie überlegten in die Wohnung von Bergers im 2.Stock zu gehen und dort zu spielen. Aber dort sass Frau Berger warm eingepackt mit Jacke, Schal und Handschuh im Wohnzimmer. Auch hier war es kalt. Die Heizung war ausgefallen. Und das am Heiligabend! Am Mittag war es dann überall im Haus völlig kalt.

Die Kinder waren im ganzen Haus unterwegs gewesen, um nach etwas Wärme zu suchen. Als sie bei Frau Putzke klingelten, war diese genauso eingepackt wie Frau Berger im Zweiten. Sie schaute die Kinder an und sagte nur: „Oh wie schade! Ich dachte es wäre endlich der Heizungsmonteur“. Dabei schaute sie ganz traurig. Als sie in den kleinen Laden von Herrn Sarasani kamen, stand dieser auch mit Pudelmütze und in Handschuhen an seiner Kasse und sah ganz durchgefroren aus. Da hatte Andreas eine Idee und so fragte er Herr Sarasani:“Können Sie uns nicht von dem Holz in ihrem Keller geben, den wir aufgeräumt haben? Dann können wir uns ein Lagerfeuer machen zum Aufwärmen?“

Die Kinder hatten schon alle ganz blaugefrorene Gesichter und zitterten am ganzen Körper. Plötzlich ging ein Leuchten durch das Gesicht von Herrn Sarasani. „Kinder, ich habs! Wenn ihr mir helft, können wir doch noch einen warmen heiligen Abend haben! Alle zusammen!“. Ganz schnell schloss er die Eingangstür zu seinem Geschäft ab und ging mit den Kindern die Kellertreppe herunter. In seinem nun aufgeräumten Kellerraum lag alles gut geordnet. Herr Sarasani drückte den verwunderten Kindern einige Holzscheite in den Arm und nahm selber Holz und noch zusätzlich etwas Papier und Zündhölzer mit. Zusammen gingen sie nun die Treppen hinauf auf den Dachboden. Als sie oben ankamen ging Herr Sarasani zielstrebig auf die Dachkammer zu. Er griff vor der Tür auf einen Balken und holte dort einen alten grossen, schwarzen Schlüssel herunten. Leise sagte er zu sich selber: „Schau mal an, alles noch an seinem Platz!“. Er drehte den Schlüssel und laut quietschend öffnete sich die alte Tür.

Der ganze Raum war voll mit alte Möbeln. Aber da ganz hinten an der Wand .... da stand ein alter schwarzer Ofen. Tina rief ganz laut: „Ich weiss, wie man Feuer macht. Ich möchte den Ofen anzünden!“. Herr Sarasani begann im Ofen geschickt das Papier und das Holz aufzuschichten, dann liess er Tina den Holzstoss am Papier anzünden. Alle standen um den Ofen herum und hielten die Hände an das Eisen. Sie waren richtig glücklich als die erste Wärme durch das Metall kam. Als ihnen wieder ein wenig warm geworden war, verteilte Herr Sarasani die Aufgaben. Die Jungs schickte er in den Keller das restliche Holz holen. Selber räumte er die Möbel ein wenig zurecht, damit es nicht mehr ganz so unaufgeräumt aussah. Tina und Steffi mussten überall im Haus anklingeln und alle in die Dachkammer einladen. Sie redeten geheimnisvoll dabei und versprachen allen eine grosse Überraschung. Mehr wollten sie nicht verraten.
Oh nein, da musste schon jeder selber kommen und schauen. Und wirklich alle kamen. Die Tür zur Dachkammer war ein wenig geöffnet und ein herrlicher Duft nach Feuer, Rauch und Wärme kam ihnen entgegen.

„Ist das möglich?“, riefen alle ungläubig. „Die Dachkammer ist geheizt“.
Sogar Frau Putzke, die mit den dicken Dackeln die Treppe heraufgekeucht kam, wurde plötzlich ganz lebendig. Herr Macaroni, der Ärmste, der ganz krank vor Kälte aussah, sprudelte einige italienische Sätze hervor. So froh war er. Alle waren glücklich und erleichtert. Doch plötzlich wurde es ganz still. Ein paar heimliche Blicke machten die Runde Dann sahen alle verlegen vor sich auf den Boden und verfielen in Schweigen. Schliesslich war es noch nie vorgekommen, dass alle Hausbewohner sich so plötzlich in einem Raum wiederfanden. Ab und an begegnete man sich im Treppenhaus und grüsste sich höflich. Manchmal gab es auch Streit, wie bei der Wäsche von Herrn Macaroni. Aber einfach nur so zusammen sitzen. Das hat es noch nie gegeben. Nun wussten sie nicht, über was sie miteinander reden sollten. Herr Sarasani rüttelte aus Verlegenheit ein wenig am Ofenrost und legte Holz nach. „Eigentlich“, sagte er dann und räusperte sich, „hätte ich jetzt richtig Lust auf eine Tasse heissen Kaffee“.
„Ich hatte seit gestern nichts Warmes mehr im Bauch“. Oh, ja, alle merkten plötzlich, dass sie Lust auf heissen Kaffee hatten. Frau Huber lief sofort eine Etage tiefer, in ihre Wohnung um einen Topf mit Wasser zu holen. Frau Berger lief in ihre Wohnung um Stollen und Gebäck zu holen. In Windeseile  wurde in der sonst so ungemütlichen Dachkammer ein Kaffeetisch hergerichtet. Herr Graber hatte einige Kerzen und Öllampen für die Beleuchtung besorgt. Es sah fast schon richtig festlich aus. Ganz langsam wurde das Wasser auf dem Ofen warm und es gab dann Kaffee und Tee für alle. Jeder hatte etwas dazu beigetragen. Sogar die alte Frau Putzke war die Treppe nochmals heruntergestiegen und hatte einen Teller mit Nüssen, Äpfeln und Mandarinen heraufgebracht. Alle waren so eifrig beschäftigt, dass sie ihre Verlegenheit ganz vergassen. Alle sassen friedlich beisammen, reichten sich Milch und Zucker über den Tisch. Sie sagten höflich „Bitte“ und „Danke“ zueinander und seit langer Zeit sahen sie sich das erste Mal wieder an. Als allen wieder warm und einige Tassen Kaffee getrunken waren, holte Herr Macaroni eine Gitarre aus der Wohnung.

„Seht nur, Herr Macaroni hat eine Gitarre“. Und wie er darauf spielen konnte. Er griff in die Saiten und zauberte eine weiche, zärtliche Melodie hervor. Eine die einen traurig machte. Aber es war eine schöne Traurigkeit, eine, die nicht wehtat. Herr Macaroni konnte viele Lieder, italienische, die er im Radio gehört hatte, und auch deutsche Weihnachtslieder. Zuletzt sangen sie alle zusammen und Herr Macarnoni begleitete sie dazu auf seiner Gitarre. Er selber summte nur dazu, weil er den deutschen Text nicht kannte. Sie sangen „Stille Nacht“ und „Ihr Kinderlein kommet“ und was ihnen sonst noch einfiel. Die ganze Zeit aber sah Frau Huber, so seltsam zu Herrn Macaroni herüber. Immer nur so aus dem Augenwinkel, nie direkt! Und wenn Herr Macaroni sie zurück schaute, blickte Frau Huber ganz gespannt auf den Fussboden. So, als müsste sie die Staubkörner einzeln zählen. Andreas beobachtete seine Mutter aus dem Augenwinkel. "Wie schwer es die Erwachsenen doch hatten Frieden miteinander zu schliessen. Wie oft hatte er mit seinen Schulkollegen wieder Frieden machen müssen", dachte er nur dabei.

Als es langsam Abend wurde, wollte niemand in seine kalte Wohnung zurück gehen. Es war einfach zu schön so zusammen zu sein. Die Bescherung für die Kinder fand gemeinsam in der staubigen Dachkammer statt. Frau Huber und Herr Graber gingen in ihre Wohnungen und holten die vielen kleinen und grossen bunt eingepackten Päckchen auf den Dachboden hoch. Dann wurde noch lange zusammen gesessen, Kaffee getrunken, Lieder gesungen und gemeinsam Weihnachten gefeiert. Sogar Frau Huber sass später am Abend neben Herrn Macaroni und versuchte leise mit ihm zu sprechen. Aber vermutlich hat er nicht viel davon verstanden. Als sie sich spät am Abend wieder trennten, wusste jeder von jedem eine Menge Dinge, von denen er bislang keine Ahnung gehabt hatte. Als Andreas dann in seinem Zimmer war und vor dem Schlafengehen aus dem Fenster auf den Obertorpatz herunter schaute, wo der Tannenbaum mit all den vielen Lichtern leuchtete und alles so herrlich glänzte, da hatte er das Gefühl noch niemals etwas so Schönes gesehen zu haben. Heute würde er bei seinem heimlichen Gebet unter der Bettdecke eine Menge zu danken haben.

6-Weihnachtsfreude kommt

Eine Etage tiefer lag auch Tina Berger noch einige Zeit in ihrem kalten Bett wach. Es war gar nicht so einfach in dem unbeheizten Zimmer einzuschlafen, aber ganz langsam wurde ihr wärmer. Sie hatte die Decke über den Kopf gezogen und dachte noch über den Nachmittag und den Abend nach.
Angefangen hatte es ja eigentlich ein paar Tage vorher in der Schule als die Lehrerin über die Freude und den Frieden gesprochen hatte und den Kindern erklärt hatte, dass diese beiden immer zusammenhängen. Genau dass hatten sie danach erlebt.
Sie hatten Herrn Sarasani eine Freude bereiten wollen und dazu seinen Keller aufgeräumt. Er hatte sich so sehr darüber gefreut, dass er den Kindern ebenfalls jedem mit der Tüte seiner besten Bonbons eine grosse Freude bereitet hat. Eigentlich hatten sie sich ja gegenseitig eine Freude bereitet.

Als es dann im ganzen Haus kalt war, weil die Heizung ausgefallen war, da hatte Herr Sarasani den Hausbewohnern eine grosse Freude bereitet, indem er mit seinem Holz die Dachkammer beheizt hat. Darüber waren alle so froh, dass sie auch ihrerseits eine Freude bereiten wollten. Deswegen holte jemand Kaffee, jemand anderes Gebäck, Herr Macaroni spielte auf seiner Gitarre - jeder versuchte den anderen ebenfalls eine Freude zu bereiten und bei dem Ganzen war es untereinander ganz friedlich geworden.

Als Tina das so in ihrem langsam warm werdenden Bett überlegte, entstand in ihrem Herzen der Wunsch noch mehr Freude zu verschenken, damit noch mehr Friede entsteht. Aber wer könnte ihre Hilfe noch brauchen? Bei dem Grübeln darüber schlief sie ein.